Chronik

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Die quattro-Story

Fahrzeugbestand
in Österreich

Das Ende der Initialzündung

Dorn-röschen im Auge

Von rollenden Visitenkarten und erlegten Ansaugbrücken – was mit Audis Ersatzteilversorgung wirklich los ist - und warum die Sache von langer Hand eingefädelt wurde.

Die Sache mit Premium

Nachdem die Industrie jahrelang an uns eine Gehirnwäsche durchgeführt hat, kapieren wir schön langsam, dass uns ein Auto nicht nur von A nach B befördert. Man selbst wird quasi auch in eine bessere Bevölkerungsschicht gebeamt, hat man nur das richtige Produkt vor der Haustür stehen. Wenn nicht, bleibt man ein ordinärer Durchschnittsdodel, fertig.
Wenn diese Botschaft des sozialen Aufstiegs also erst mal mal geschluckt wurde, ist die Basis geschaffen, auch als Firma entsprechend überheblich aufzutreten.
Seid dankbar, dass wir Euch das entsprechende Gerät verkaufen! Das kostet natürlich entsprechend, aber dafür ist das Eure Eintrittskarte in die Premium-Welt. In unsere Premium-Welt.
Sprich: alle paar Jahre mal ein neues Auto kaufen, und der Verbleib in der upper class ist bis auf weiteres gesichert. Allerdings: den durchlauchten Kreis verlässt man automatisch, sobald das Auto ein gewisses Alter erreicht hat. Ganz automatisch, und unabhängig von der Tatsache, dass das eigene Auto auch weiterhin ein Audi bleibt.

Wie lange darf ein Audi leben?

Alt ist also schlecht, der Umstieg auf neues Blech scheint unumgänglich. Sicher ein Schlag in die Magengrube eines jeden Altaudi-Verehrers, doch machen wir uns nichts vor: Hier geht es um eine Firma, die vom Neuwagengeschäft lebt. Je früher die alten Kisten also von der Straße kommen, desto eher kaufen sich die Leute einen Neuen. Und um diesem Vorhaben ein wenig Nachdruck zu verleihen, gibt’s sanfte Druckmittel: eine der wirksamsten ist das rasche Auflösen der umfassenden Ersatzteilversorgung. Die Gleichung ist brutal simpel und bayerisch-radikal zugleich, denn ohne Verschleißteile und anderem Zeugs, fährt kein Auto lange herum. Mehr noch: durch gezieltes Weglassen bestimmter Teile kann man sogar die Länge eines Autolebens gut steuern.
Das hat mehrere Gründe. Sei es, um Modelle mit erheblichen Qualitätsmängeln schnell von der Straße zu bekommen (schon mal auf die Unterseite der Türen eines frühen A3 gegriffen? Knuspert mitunter wie Müsli), oder aber, um das eigene Autogeschäft wieder mal anzukurbeln.

Der Premium-Haken, oder: ein Lösungsansatz

Doch eines hat Audi bei der ganzen Sache nicht bedacht: nämlich wofür Premium noch steht. Nicht nur für glänzende Audi-Ringe und schöne Schriftzüge. Sondern auch für nachhaltige Qualität auf hohem Niveau. Sich das Etikett der Noblesse an die Schultern zu heften, reicht nicht aus. Man muss auch zeigen, dass man recht hat, nicht nur im Neuwagen-Schauraum. Die Rechtfertigung der Mehrpreises gegenüber billigeren Autos muss auch Jahre später noch erkennbar sein. Es geht hier also um Verantwortung, um das Einlösen eines Versprechens. Und das alles funktioniert im Prinzip von selbst, je länger sich die betroffenen Autos auf der Straße halten. Einfacher gesagt: jeder alte Audi im Straßenbild könnte eine Visitenkarte für die Ingolstädter Mobilisten sein. Als definitiver Beweis der Langlebigkeit und Überlegenheit des Produkts. Besser und billiger kann man nicht Werbung machen. Ein Traum eines jeden Marketing-Fuzzies.

Theorie und Praxis

Da es aber schon schwer wird, für zehn Jahre alte Modelle alles am Ersatzteiltresen zu bekommen, stehen die alten Ringkämpfer eher für die Tapferkeit und das Durchhaltevermögen ihrer Fahrer. Für deren Einfallsreichtum, wenn es darum geht, passende Teile aufzutreiben. Denn irgendwo liegen immer noch verstaubte Restposten herum, die es nur aufzustöbern gilt. Oder irgendwer kommt dahinter, was von anderen Modellen passen kann.
Schwierig wird es nur, wenn man gezielt den Lagerbestand abbaut. Von zahllosen Teilen, die einfach weggeworfen worden, war schon die Rede. Manche Dinge mussten auf Befehl sogar zerstört werden, damit auch ja kein findiger Mitarbeiter die Sachen unter der Hand verchecken kann. Wie auch immer diese Ausräucherungen ganzer Regalreihen abgelaufen sind: die Befehle dafür kamen von ganz oben.
Natürlich ist diese Vorgehensweise kein Einzelfall. VW hat auch schon die Order ausgeschickt, bestimmte Warengruppen raschest möglich zu entsorgen, und Fiat ließ sogar ultra-seltene Auspuffkrümmer irgendwelcher Doppelnocken-Schleudern gleich vor Ort zerstören, damit der Markt gesäubert ist.

Erstes Umdenken

Für Audi sollte das aber kein Grund sein, es nachzumachen, denn da gibt es ja den selbst gestellten Premium-Anspruch. Und nachdem es alsbald tatsächlich regen Widerstand in der Öffentlichkeit gab, sah man sich sogar in Bayern gezwungen, zu reagieren.
Alte Audis? Na klar finden wir die toll! Und natürlich sollen die möglichst lange leben, wäre ja auch ewig schade um diese ganzen Schleudern. Und weil wir die Altautokäufer auch so verdammt lieb haben, ziehen wir jetzt natürlich eine umfangreiche Teileorganisation auf. Da wird’s dann sicher alles geben, was keiner gesucht hat. Freut Euch drauf, irgendwann bald geht’s dann sicher los.

Auffassungsunterschiede

Um eines klarzustellen. Audi hat die Bedeutung der eigenen Historie sehr wohl erkannt. Man darf sich aber nicht täuschen lassen. Wie gesagt: Hier geht’s um knallhartes Business. Um den Verkauf von Neuwagen. Teuren Neuwagen, dessen Preise sich nur durch ein passendes Image rechtfertigen lassen. Und das muss unterfüttert werden mit Legenden, Mythen und spannenden Geschichten aus der Firmenhistorie, die zumindest auf den Handrücken potenzieller Käufer ein bisschen Gänsehaut erzeugen.
Mit einer emotionalen Bindung hat die Sache nichts zu tun. Die Eiseskälte, die manch Audi-Mitarbeiter alten Modellen gegenüber zeigt, wirkt sogar so, als ob die Visitenkarten auf vier Rädern nicht wie Dornröschen, sondern wie ein Dorn im Auge betrachtet werden. Brauchen tut man die Dinger auf der Straße nicht. Es reicht, wenn Audi Tradition auf das vierrädrige Erbe aufpasst. Die tun dies rein aus Marketing-Gründen, zum herzeigen und promoten. Und da auch diese Audis gewartet werden wollen, braucht es entsprechendes Material. Man könnte also mutmaßen, dass sich Audi nun selbst mit genügend Ersatzteilen eindeckt, um die eigene Flotte flott zu halten. Die Sache mit den fahrenden Visitenkarten wird nicht so wichtig genommen. Böse kann man Audi dafür aber nicht sein. Zu erschreckend logisch sind die Gründe.

Die Konkurrenz

Mercedes Benz war schon ein Big Player in der Premium-Liga, als es das Wort Premium noch nicht einmal gab. Die Marke hat eine lange Tradition, eine noch längere Geschichte und entsprechend viele Fahrzeuge auf den Markt gebracht, die zwar keine große Fangruppe haben. Dafür aber eine sehr betuchte. Die Preise für einen 300 SL Flügeltürer klettern wieder mal, ganz zu schweigen von den Tarifen für Vorkriegscoupés mit Kompressor-Motoren. Die Ersatzteilversorgung ist aber nach wie vor überhaupt kein Problem, weil für Mercedes hier die Rechnung voll aufgeht. Die Kundschaft ist betucht, die Wagen verdammt wertvoll und der Markt entsprechend mit Geld vollgepumpt. Entsprechend kann man horrende Summen für irgendwelche Teile verlangen kann. Sicher dauert es mitunter Monate, wenn grad mal das Lager leer ist und die Produktion neu aufgelegt werden muss. Aber nachdem fast alle Preise bezahlt werden, rentiert sich die Sache einfach.

Und Audi?

Audi ist im Vergleich zu Mercedes ein junger Hüpfer. Wirklich ging die nennenswerte Geschichte vor nicht mal 30 Jahren los. Was vorher war, war schlicht uninteressant. Auch die meisten Modelle der letzten drei Jahrzehnte zählen nicht zur Liga erhaltenswerter Automobile, womit sich auch die Kundschaft entsprechend entwickelt hat. Und damit auch die Bereitschaft, nicht so viel Geld für Ersatzteile auszugeben. Ich bin mir sicher, wenn sich genug Leute finden, die für einen V8 oder 200er Traggelenke für 400 Euro das Stück kaufen wollen, legt Audi diese Teile sofort wieder auf. Nachdem aber lieber geschnorrt und auf Teufel komm raus der Preis gedrückt wird, lässt es Audi lieber komplett sein. Zumal die Preise der beliebten Modelle auch immer noch tief unten dahin grundeln. So beliebt ein Audi auch sein mag: es wird der Preis gedrückt, was möglich ist. Sprich: die Mentalität, für sein Schatzi entsprechende Summen aufzubringen, existiert noch nicht mal beim Gebrauchtwagenkauf. Wie soll das dann also erst beim Ersatzteilverkauf funktionieren? Das Umdenken muss also in der Fangemeinde anfangen.
Das passiert jedoch nur ganz langsam. Der Urquattro ist das erste Modell, das im Preis derzeit exorbitant steigt. Immerhin ein Anfang, doch solange die Kundschaft entsprechend unseriös auftritt und nicht zum Markenimage passt, ist es noch ein langer Weg, alles für den Wagen wieder bestellen zu können.

Status quo

Wer sich also allzu große Hoffnungen auf das kommende Teilereservoir von Audi Tradition gemacht hat, wird wohl ein wenig enttäuscht werden. Zwar werden bestehende Ersatzteillager aufgekauft, die noch in der Bundesrepublik zu finden sind. Und es gibt auch Fotos, wo stolz eine neue 7A-Ansaugbrücke wie das Geweih eines erlegten Andromedars bei einer Großwildjagd hochgehalten wird. Doch machen wir uns nichts vor: was man findet, sind übliche Restposten, die schon seinerzeit keine Sau gebraucht hat. Eine Ansaugbrücke gehört auch im weitesten Interpretationsspielraum einfach nicht zur aussterbenden Rasse der Verschleißteile. Sie wirkt auf Pressefotos aber einfach cooler als rare Traggelenke oder ausgelaufene Schaltknäufe. Entsprechend werden diese Trümmer auch weiterhin ein Leben in ewiger Jugend auf diversen Regalen verbringen. Andererseits: das Zeug, dass nicht einmal mehr Audi braucht, wurde ohnehin schon mit einem genialen Schachzug an die Quattro-besessene Meute verkauft - mit dem simplen Schmäh der Panikmache.

Der Clou

Wie das alles genau abgelaufen ist, könnte folgendermaßen ausgesehen haben: Zuerst wurde von Audi die Nachricht verbreitet, dass ganze Lager aufgelöst werden sollen. Einfach so. Für viele Modelle wird es dann bald nichts mehr geben, die in Ingolstadt machen also wirklich ernst. Panik macht sich breit. Unsere Urquattros müssen sterben, ogottogott! Und damit der alte Krempel möglichst rasch weg kommt, wird jetzt auch noch alles gnadenlos abverkauft wie bei H&M im Herbst. Die Folge: wie am Tag vor dem Weltuntergang kauften Fans und Freaks Teile und Zeug in Mengen, die sie selbst nie im Leben verbrauchen können. Hauptsache, man selber griff zu, bevors ein anderer tat. Dieser Hamster-Effekt war für Audi natürlich eine feine Sache, denn so wurden sie endlich all das Graffel los, das nicht mal mehr sie selber brauchen konnten. Es gab da nämlich eine gewisse Diskrepanz zwischen der Liste mit allen Entfallteilen drauf, und dem realen Angebot: neue 20V-Lenkräder? Komischerweise nicht mehr da. Aber dafür kann man ja doppelt so viele Heckbleche oder Spurstangen kaufen, man weiß ja nie. Und außerdem: so günstig bekommt man das ja nie mehr wieder. Der Clou daran: diese Teile waren alle für Fremdmärkte bestimmt gewesen, und mit Spurstangen für Linksverkehr oder US-Heckbleche fängt man bei uns (bis auf Sammlerfreuden jetzt) eher wenig an. Wie genial dieser Schachzug war, zeigt sich am Ende bei der Abrechnung, denn Audi erwischte gleich vier Fliegen auf einmal. Erstens: sie haben gut verdient an den Audi-Hamstern. Zweitens: sie wurden unnötiges Zeug los. Drittens: Lagerkosten sanken auf Null. Viertens: die Fangemeinde ist erst mal ruhig gestellt und kann sich jetzt selber fertig machen, wer mehr Entfallteile im Keller liegen hat als der andere.

Keine Panik

Wie gesagt, Audi hat schon einen Plan hinter all dem. Die Modellpalette wächst stetig, immer mehr Kunden greifen zu einem neuen Audi - und wollen auch mit Ersatzteilen entsprechend bedient werden. Der Lagerbedarf wächst also exorbitant, nur um mal die laufenden Modellreihen versorgen zu können. Und wenn man die Lagerkapazitäten nicht erweitern möchte, muss man halt mal kräftig ausmisten. Das alles schön verpackt im glänzenden Karton aus hinterfotzigem Marketing und Trost spendender PR, ergibt sich ein nettes Päckchen für alle, die die vier Ringe nicht nur im Kühlergrill, sondern auch im Herzen tragen. Und das sind nun mal nur die, die sich einen oder zwanzig Alt-Audis einbilden. Doch sollte man gerade in dunklen Zeiten besonders optimistisch bleiben. Alles wird gut, da bin ich mir sicher – auch wenn der Anruf eines Bekannten ein wenig irritierend wirkte: So wollte er sich kürzlich einen RS2-Krümmer kaufen, bekam diesen bei Audi aber nicht mehr. Nur zum Trost, mein Freund: für den wesentlich jüngeren RS4 gibts diese Teile auch nicht mehr.


Text: Roland Scharf
Fotos: Audi AG, Archiv Audi Urquattro Club Österreich, Liewers AG